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Mehr Zahnärzte: Qualität leidet

Neue Luzerner Zeitung Online  14. Dezember 2015

LUZERN ⋅ Die Zahl der Zahnärzte im Kanton Luzern hat massiv zugenommen. Gleichzeitig häufen sich Beanstandungen über schlechte Behandlung

 Niels Jost

Überall mangelt es an Ärzten. Besonders prekär ist die Situation bei den Hausärzten, weil viele keine eigene Praxis mehr führen wollen. Darum überraschen die neusten Zahlen aus dem Planungsbericht 2015 der Luzerner Regierung: Die Anzahl der Zahnärzte nimmt im ganzen Kanton Luzern stetig zu – in der Stadt, der Agglomeration und auf dem Land (siehe Grafik). Im Jahr 2013 gab es 339 Zahnärzte, das sind 70 Prozent mehr als im Jahr 2005, damals gab es 199.

Viele wollen keine eigene Praxis

Hanspeter Vogler, Leiter Fachbereich Gesundheitswesen des Kantons Luzern, sagt denn auch: «Es gibt insgesamt eine Überversorgung mit Zahnärzten.» Gleichzeitig schreibt die Luzerner Regierung in ihrem Planungsbericht von einem Mangel an Fachärzten: «Vornehmlich ländliche Praxen haben zunehmend Mühe, eine geeignete Fachperson zu finden», heisst es im Bericht. Hanspeter Vogler räumt ein, dass man den starken Anstieg der Zahl der Zahnärzte ein Stück weit relativieren muss: «Immer mehr Zahnärzte wollen keine eigene Praxis mehr, und vor allem Zahnärztinnen arbeiten vielfach nur Teilzeit.» In der Stadt und den Agglo-Gemeinden gebe es mehr (Gruppen-)Praxen, die ein flexibleres Arbeitspensum ermöglichen.

Yann Deleurant, Präsident der Luzerner Zahnärzte-Gesellschaft (LZG), sagt: «Es gibt definitiv genügend Zahnärzte. Ein Mangel herrscht nicht.» Einzig in den ländlichen Praxen gebe es «hie und da» fehlende Fachkräfte. Deleurant führt das auf persönliche Gründe zurück: «In der Stadt zu arbeiten, ist für viele attraktiver, da man sich hier kurz mit Arbeitskollegen treffen und sich über spannende Fälle austauschen kann.» Unterschiede beim Lohn in ländlichen und städtischen Praxen gebe es grundsätzlich nicht.

Weniger Patienten pro Zahnarzt

Die Zunahme an Zahnärzten hat laut dem LZG-Präsidenten zur Folge, dass die Praxen immer weniger Patienten behandeln – trotz des Bevölkerungswachstums. Auch die Zahnhygiene habe sich in vielen Regionen erfreulicherweise verbessert, die Luzerner haben tendenziell immer weniger Karies. «Viele Leute putzen dreimal täglich ihre Zähne», weiss Deleurant. Im Schnitt unterziehen sich zwei von drei Schweizern mindestens einmal im Jahr einer Untersuchung. «Bei der zahnärztlichen Behandlung achten die Patienten auf Qualität. Deshalb leiden eher die qualitativ schlechteren Praxen an Patientenschwund», fügt Deleurant hinzu.

Temporär-Ärzte aus dem Ausland

Sorgen bereitet Yann Deleurant die Zunahme von ausländischen Zahnärzten. Wie viele derzeit in Luzern arbeiten, darüber führt weder der Kanton noch der Bund eine Statistik. Einzelne Praxen greifen vermehrt auf ausländische Fachkräfte zurück, weil manche etwa nur einen Allgemein-Zahnarzt und keinen Spezialisten angestellt haben. Die ausländischen Fachkräfte werden temporär engagiert und arbeiten nur wenige Male im Monat in Luzern. Für sie lohne sich dieses Pendeln und Arbeiten in hiesigen Praxen wegen der Schweizer Löhne aber allemal, so Deleurant. Darunter leide aber die Qualität (siehe Kasten unten): «Die ausländischen Zahnärzte haben zwar ein vom Bund anerkanntes Fachdiplom, arbeiten aber nach anderen Qualitätsstandards als wir in der Schweiz. Hinzu kommt, dass ein Patient von verschiedenen Zahnärzten behandelt wird, die mit der spezifischen Akte nicht vertraut sind.» Darunter leide auch das Verhältnis zu den Klienten. Der LZG-Präsident hatte selber Patienten, die bei einem anderen Zahnarzt nur ungenügend behandelt wurden. Ähnliche Erfahrungen hat auch Thomas Aregger gemacht, der in Schüpfheim eine Praxis führt. «Besonders problematisch ist, wenn ein anderer Zahnarzt eine Nachbehandlung durchführen muss.» Das sei teilweise nicht umgehbar. Auch er selbst könne nicht alle Patienten behandeln, gerade wenn es sich um Spezialfälle handle. «Dann schicke ich meine Kunden in die Stadt zu einem Spezialisten. Grundsätzlich ist das Entlebuch mit fünf Praxen zahnmedizinisch aber gut versorgt.» Der Vorteil gegenüber der Stadt sei denn auch, dass er viele seiner Patienten persönlich kenne, was in den Gross- oder Gruppenpraxen weniger der Fall sei.

Zur Qualitätsfrage sagt Hanspeter Vogler: «Die fehlende Behandlungskontinuität durch häufig wechselnde Behandler ist sicherlich ein grosses Problem. Es gibt aber auch Zahnärzte mit Schweizer Ausbildung, die wegen Behandlungsfehlern auffällig werden.»

Viermal mehr Beschwerden

Deshalb verfügt die LZG als Sektion der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft (SSO) über ein Qualitätslabel. Patienten, die bei einem Zahnarzt der SSO beziehungsweise der LZG ungenügend behandelt wurden, können sich an eine Ombudsstelle wenden, die gratis zur Verfügung steht. Das Ziel: Die Zahnärzte sollen sich selber in die Pflicht nehmen und Qualitätsarbeit abliefern sowie faire Preise dafür verlangen. Dieses Jahr bearbeitete die Schlichtungsstelle 16 Fälle, das sind gleich viele wie im Vorjahr. Die Begutachtungskommission der LZG bearbeitet nur Fälle über Mitglieder ihrer Gesellschaft. Viele neuere Praxen gehören dieser aber nicht an. Deshalb gingen 2014 auch bei der allgemeinen Patientenstelle Zentralschweiz 56 Beanstandungen über Zahnärzte ein. «Im laufenden Jahr waren es massiv mehr, an die 200 Fälle haben wir bereits bearbeitet», sagt Stellenleiterin Barbara Callisaya.

Sie führe dies auf die Berichterstattung in unserer Zeitung vom März dieses Jahres zurück, als das Thema pfuschende Zahnärzte ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte. «Viele Patienten wussten zuvor nicht, dass sie eine schlechte Behandlung nicht akzeptieren müssen und sich dagegen wehren können.»

Vorsicht bei Pauschal-Angeboten

Alle Beanstandungen, bis auf eine, richteten sich an Zahnärzte, die nicht SSO-Mitglied sind. «Betroffen waren mehrheitlich ausländische Zahnärzte. Das heisst aber nicht, dass alle ausländischen Fachkräfte schlechte Arbeit leisten, es gibt auch viele, die qualitativ gute und den hiesigen Ansprüchen entsprechende Arbeit leisten.» Zu­dem fielen eher Grosspraxen oder Zahnarztkliniken negativ auf. Die Patientenstelle rät deshalb, nicht auf zu lukra­tive oder pauschale Angebote einzugehen, und appelliert an die Eigenverantwortung.